Die Kraft der inneren Bilder

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Bestimmt haben Sie auch schon einmal die Erfahrung gemacht, Hunger zu haben und sich ein feines Essen vorzustellen. Da läuft einem sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen. Das ist wissenschaftlich formuliert der Ausdruck einer neuroendokrinen Reaktion auf eine assoziative Leistung. Oder auf Deutsch: Die bildliche Vorstellung im Hirn löst eine Funktion der Drüsen im Mund aus.

Wie kann das geschehen?

Das Hirn unterscheidet nicht zwischen tatsächlicher und vorgestellter Wirklichkeit. Jeder, der einmal mit klopfendem Herzen nach einem Albtraum aufgewacht ist, kann dies bestätigen: Obwohl die tatsächliche Wirklichkeit die Geborgenheit des warmen Bettes ist, reagiert der Körper auf die inneren Bilder des Traums. Auch hier gibt es eine neuroendo- krine Reaktion, nur dass hier statt der Verdauungsenzyme im ersten Beispiel Stresshormone ausgeschüttet werden.

Bilder sind Symbole einer erlebten Wirklichkeit

Innere Bilder sind kraftvoll. Und sie sind die Sprache des limbischen Systems, also des Teils unseres Hirnes, der für unsere Emotionen zuständig ist. Ein Bild kann viel schneller Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, als man es durch Worte fertigbringen könnte. Einerseits, weil die Leitgeschwindigkeit des limbischen Systems 50-mal schneller ist als die des Grosshirns. Andererseits aber auch, weil ein Bild ein Symbol einer emotional erlebten Wirklichkeit ist. Schon in der Bibel ist dieses Wissen zu finden, etwa wenn in den Psalmen Gott als der Hirte bezeichnet wird, als Fels oder als Burg. Da wird durch Benutzen bekannter Bilder Vertrauen vermittelt, Beständigkeit oder Sicherheit.

Wir machen uns dauernd Vorstellungen, nur leider zu oft in Form von Befürchtungen. 

Wir machen uns dauernd Vorstellungen, nur leider viel zu oft in Form von Befürchtungen. Etwa wenn wir uns ausmalen, wie eine Person in einem bevorstehenden Gespräch re- agieren könnte. Die Befürchtung löst bei uns eine neuroendokrine (Stress-)Reaktion aus, die uns schon angespannt in diese Begegnung gehen lässt und genau dadurch die befürchtete Reaktion hervorruft.


Der Nutzen: Die Selbststeuerungskompetenz

Umgekehrt lässt sich das Wissen um diese Zusammenhänge im Sinne einer Selbststeueungskompetenz nutzen. Jeder Mensch trägt kraftvolle Bilder aus erlebten Situationen in sich, die das Potenzial haben, die damals erlebten Emotionen zu reproduzieren.

So kann zum Beispiel beim Antritt einer Prüfung das bewusste Aufrufen der Erinnerung an einen bewältigten Alpengipfel zur wertvollen Ressource werden, um unseren Stresshormonspiegel im Griff zu haben.

Oder die Vorstellung, an einem sonnigen Tag über die Piste zu carven, kann den Heilungsverlauf eines gebrochenen Beines beschleunigen, weil dadurch der Stoffwechsel und die neuronalen Verschaltungen aktiviert werden.

Die Wirkung dieser inneren Bilder ist sehr individuell, und unter Umständen macht die- sem Angst, was jenem Sicherheit vermittelt, abhängig davon, welche Erfahrungen im Unterbewusstsein jeweils abgelegt sind. Deshalb gilt es, beim Coaching- oder Therapie- prozess immer das Bild zu finden, das am stärksten die erwünschte Wirkung beim Indi- viduum hervorruft.

Alle Sinneskanäle nutzen verstärkt die Wirkung

Der visuelle Aspekt ist jedoch nur einer der Sinneskanäle und man kann die Wirkung er- heblich verstärken, wenn die anderen Sinne auch in eine solche Imagination eingebaut werden. Je mehr Sinne ich einbeziehe, umso realer wird die vorgestellte Situation für das limbische System und umso stärker wird das neuroendokrine System reagieren.

Das bedeutet nicht, dass die Imagination einer Szene an sich quasi in einem magischen Akt den gewünschten Ausgang herbeiführen kann. Es geht lediglich um die Entscheidung, ob ich meinen Organismus im Rahmen meiner Möglichkeiten so steuern will, dass ich optimal auf meine Ressourcen zurückgreifen kann.